Giro 2015 Bari - Rom vom 1. – 10. Mai
Adria, Molise, Abruzzen und Lazio


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1. Etapppe: Bari Aeroporto – Andria

Die Frühlingssonne und -wärme begleitet uns nach Bitonto, wo wir – noch kaum hungrig zwar, aber mit viel Freude und Appetit –unsere erste Mittagstafel finden. Das Ristorante La Chianca enttäuscht uns nicht. Glücklich gesättigt rollen wir ostwärts durch Oliven-, Zitrus- und Feigenbäume in die Murgia, das hügelige Hinterland des topfebenen Apuliens. Nach einem Abstecher auf Castel del Monte, das achteckige Jagdschloss des Stauffenkaisers Friedrich II, drehen wir gegen Norden ab und erreichen nach ein paar lauschigen Abfahrten die Terre di Traiano, einen zum Agriturismo umgebauten Oliven-Gutshof. Die geernteten Bio-Oliven werden seit ein paar Jahren zentral verarbeitet. Die alten Gerätschaften und Mühlen können in einem kleinen Museum besichtigt werden. 83km-750Hm.

2. Etappe: Andria – Monte Sant’Angelo

Von der Terre di Traiano bis an die Adria begleiten uns Olivenbäume, soweit wir sehen können. Nach Barletta leben auf den nächsten 50 Kilometern die Passisti auf: mehr als 20 Höhenmeter kommen entlang der Adria bis Manfredonia nicht zusammen. Auch hier sind viele Ristoranti noch geschlossen. Einzig der Chinese hat auf und die bis auf den letzten Stuhl besetzte Coppola rossa. Ein bisschen Warten lohnt sich und wir bekommen unseren ersehnten Fisch. Mit Rollen auf Meereshöhe ist nun Schluss. Bereits in Manfredonia beginnt die Steigung in Richtung Ruggiano und Monte Sant’Angelo. Mit angenehmen 5% zieht sich die SP57 entlang der ersten Anhöhe hinauf in den hügligen und felsigen Parco Nazionale del Gargano, den Stiefelsporn Italiens. Übernachtung im Palace Hotel San Michele mit Panoramablick von 800 MüM über die Adria und die in den letzten zwei Tagen zurückgelegten Etappen. 112Km-1180Hm.

3. Etappe: Monte Sant’Angelo – Lesina

Zu Beginn gönnen wir uns die 6 Kilometer Schlussaufstieg des Vortages als Abfahrt. In der Talsohle biegen wir ab auf die SP52b und fahren auf dieser in die Foresta Umbra, den dickstämmigen Buchenwald des Gargano ein. Aufhöchsten Punkt biegen wir rechts in die SP52 bis in Richtung Vieste ab. Leider erfordert der Asphalt volle Aufmerksamkeit und die 15 Kilometer Abfahrt lässt sich in einigen Teilen nur mit angezogener Bremse geniessen. An der Kreuzung mit der SS89 drehen wir links ab und erreichen nach einem kleinen Pass Peschici, wo wir in der Trattoria Pastorello (wir sind die einzigen Gäste – die Vorsaison hat auch Vorteile…) verwöhnt werden. Mit Zusatzgewicht an Meeresgetier, Pasta und Nachtisch schleppen wir uns entlang der SS89 die 50 Höhenmeter bis zum Erreichen der Panoramahöhe über der felsigen Küste. Einen Buckel und 10 Kilometer Strandstrasse später erreichen wir Rodi. Zwischen der Laguna di Varano und Meer geht es flach weiter in Richtung Westen. Die Lagune von Lesina umfahren wir südlich und erreichen in Lesina das B&B Liu Palazzo Ducale, unseren Übernachtungsort. 122Km-1150Hm

4. Etappe: Lesina – Lesina

Geplant war, am vierten Tag unseres Giros via Termoli und Bahntransfer nach Torre dei Passeri zu gelangen und von dort in die Abruzzen einzusteigen. Der fünfte Tag hätte uns als Königsetappe über den Campo Imperatore bis nach Amatrice, der sechste via Castelluccio di Norcia nach Umbrien, der siebte und achte Tag über Terminillo, Rieti und Castel Gandolfo nach Rom geführt. Das anfangs Woche schöne Frühlingswetter wird von Westen her von einer Kaltfront verdrängt und in den Bergen fällt Schnee. Die Adria erreicht das schlechte Wetter erst einen Tag später. Wir passen unsere Tourenplanung an und drehen eine Zusatzschleife im Gargano. Via Poggio Imperiale und Apricena erreichen wir wieder den Fuss des Gargano und nach einem Aufstieg auf 700 MüM und einer kurzen Abfahrt San Giovanni Rotondo, den Lebens- und Sterbensort von Padre Pio, dem Popstar der Heiligen der letzten Jahrzehnte. Sein Heiligenschein ist zwar nicht ganz unstrittig aber kaum ein Gebrauchtwagenhändler der Gegend kommt ohne sein schützendes Label im Namen aus. Gefüttert und geläutert führen wir die Fahrt weiter Richtung Cagnano Verano. Was sich uns auf der SP43 bietet, lässt das Radfahrerherz höher schlagen: 20 Kilometer Abfahrt durch Wald und Weiden, kaum Verkehr. Der Belag ist gut, das Gefälle beträgt um die 4% und ist mit weiten Kurven und zwei kleinen Plateaus zur Genussfahrt pur ausgebaut. Unten angekommen erst mal durchschnaufen und für die Memoiren festhalten: so …! Auf dem Heimweg fahren wir heute südlich der Laguna Varano entlang der Eisenbahnlinie, die von San Severo nach Rodi führt, auf einer Panoramahöhe von ca. 200 MüM zuerst nach Westen, bevor wir in Apricena nach Norden abdrehen und wieder Lesina erreichen. 127Km-1650Hm.

5. Etappe: Lesina – Termoli, Zugfahrt Termoli – Pescara – Sulmona – Celano

Wir verlassen Lesina westwärts auf der SP37. Zwischen Ripalta und Serracapriola fahren wir auf verlassenen Strassen und gut ausgebauten Feldwegen durch den nördlichsten Zipfel Apuliens. Das Wetter meint es gut mit uns: frühlingsblauer Himmel und weisse Wölkchen begleiten uns durch die spriessenden Äcker und Weiden in Richtung Molise. Nach weiteren 30 Kilometern erreichen wir Termoli, den Bahnhof unseres Zugtransfers durch die Abruzzen. Der Regen setzt kurz vor Pescara ein. Draussen wird es grau und kalt. Beim Umsteigebahnhof in Sulmona frieren wir selbst am Trockenen. In Celano steigen wir aus und finden im Ristorante il Rifugio die nächste Unterkunft. 52Km-600Hm.

6. Etappe: Celano – Subiaco

Von den Abruzzen, die wir in diesen Tagen hätten durchfahren wollen sehen wir auch am folgenden Tag nur die unteren Ausläufer. Die Gipfel bleiben in dicken Wolken verborgen. Schade und gemein: eine Woche später zog eine Hitzewelle über Südeuropa und trieb das Thermometer auf 2000 MüM bis über 20°C. Wir freuen uns, dass der Tag trocken beginnt und wir die 30 Kilometerschleife in der Piana del Fucino unbeschwert abspulen können. Nach Avenzano überqueren wir die erste kleine Kette und sehen von dort die nächste, deutlich höhere, die auf uns wartet. Nach Capistrello steigt die SP30 auf den nächsten 15 Kilometern mit angenehmen 6% stetig an. Kurz vor dem Passo Serra Sant'Antonio flacht sie ab und gibt rückwärts die Sicht frei in Richtung der Abruzzen, die wir auslassen mussten. Die Entscheidung tat weh, war aber vernünftig: schattseitig liegt der Schnee des vergangenen Winters noch bis auf 1400 MüM und auf der Passhöhe auf 1600 MüM ziehen wir alle warmen Klamotten über, die wir dabei haben. Fürs Mittagessen sind wir spät dran. Bis wir mit klammen Fingern (schade um die schöne Abfahrt!) in Filettino ankommen ist zwei Uhr vorbei. Hilfsbereite Dorfbewohner rufen die Wirtin der Bar Centrale aus der Zimmerstunde zurück und wir können uns aufwärmen und Kräfte tanken. Weit ist es nicht mehr bis Subiaco, unserem nächsten Etappenort. Im Aufstieg nach Jenne setzt der Regen ein und in der Abfahrt zum Zielort wird er dichter. Schade auch hier: die 8 Kilometer Abfahrt wäre auf trockenem Belag sicher ziemlich toll gewesen. So erreichen wir das Ristorante Belvedere gut eingeweicht. 109Km-1800Hm.

7. Etappe: Subiaco – Anzio

Für die Etappe ans Mittelmeer teilen wir uns in zwei Gruppen auf. Die eine wählt die Direttissima via Roiate und Artena, die andere bevorzugt die Variante mit einer Schlaufe in die Monti Prenestini und einer weiteren über die Colli Albani und Castel Gandolfo. Die Streckenbeschreibung deckt die letztere ab. Bis kurz vor Madonna della Pace folgen wir der SR411, biegen dort links in Richtung Canterano ab. Auf den nächsten 40 Kilometern bis Palestrina überqueren wir zwei kleine Bergketten. Die Steigungen sind moderat, der Verkehr spärlich und wir geniessen Frühlingswetter und das spriessende Grün links und rechts der Strasse. Den Mittagstisch finden wir in der del Osteria Sole in Carchitti. Der Koch fährt MTB-Rennen und weiss, was auf unsere Teller gehört. Frisch gestärkt geht es in die Steigung hinauf zu den Colli Albani und Castel Gandolfo. Die schwarzen Frauen auf dem Strassenstrich lassen uns wissen, dass wir in Roms geistlichem und weltlichem Umfeld angekommen sind. Nach der Schleife um den Lago di Albano und die päpstliche Wochenendvilla stürzen wir uns in die Abfahrt in Richtung Aprilia und Anzio. Mit verkehrsarmen Strassen ist nun definitiv Schluss. Hunderte von Autos und der löchrige Belag erfordern volle Konzentration auf den verbleibenden 30 Kilometern. Das Hotel Hotel dei Cesari finden wir auf Anhieb – im Gegensatz zu unserer Direttissima-Gruppe. Erstaunt hören wir an der Rezeption, dass vor uns noch keine Ciclisti eingetroffen seien. Auch Antonio, unser Autista mit dem Gepäck fehlt. Er taucht jedoch bald auf, weiss jedoch nichts vom Verbleib seines Gruppettos. Er erzählt konfuse Geschichten von falschen Wegen und einander verlieren, von einer links, der andere rechts und er – die Einheit suchend – mit Hilfe des Tomtoms geradeaus. Wir haben nun zumindest unser Gepäck und können unsere Zimmer über dem Strand beziehen. Bis die zersplitterte Nachzüglergruppe eintrifft dauert es länger. Es ist schon fast finster, als sie – einzeln, jeder über die anderen schimpfend – eintreffen. Die Rekonstruktion ihrer Etappe (zum Glück gibt es GPS-Empfänger in den Handys!) ergibt, dass sie sich schon nach 50 Metern nachhaltig verfahren haben. Aus der 80km-Direttissima wurde eine wilde Schlaufenfahrt mit über 140 Kilometern Gesamtlänge und eine Selbsthilfegruppe in intensivdynamischer Zielfindung als Kulminationspunkt. 128Km-1850Hm

8. Etappe: Anzio – Rom

Die Schlussetappe bestreiten wir aufgrund der Erfahrungen des Vortages als geeintes Rudel. Wir pedalieren friedlich 40 Kilometer lungo il Mare und geniessen mit Hunderten von 1. Mai-Ausflüglern Frühlingsfrische und Meeresluft in unseren Nasen, drehen einen nostalgischen Schwenker nach Ostia und fahren auf der Via Cristofero Colombo schnurgerade auf Rom, das Ziel unserer Reise, zu. Eingangs der Stadt durchqueren wir Regierungsbauten, das Universitätsviertel und sind – enttäuscht. So haben wir uns die Ankunft nicht vorgestellt. Zudem ist die Mittagszeit schon fast vorbei und wir haben noch kein Ristorante gesehen, dass unsere gedämpfte Ankunftsfreude aufhellen könnte. An der Piazza dei Navigatori – nomen est omen e finalmente! – lacht uns das Ristorante L'Ardito an. Alles wird gut: der alte Cameriere empfängt und mit schwarzer Schürze und weissem Hemd. Meo Bici ist nun in Rom angekommen. Ein bisschen Sightseeing muss zum Abschluss sein: nach dem Mittagessen holpern wir über die Via Appia zur Porta Appia. Entlang Parco San Sebastiano gelangen wir zum Circo Massimo, erreichen beim Ponte Palatino den Tiber und seiner Uferstrasse entlang bis zum Ponte Garibaldi die ersten hunderttausend Rombesucher. Wir überqueren den Fluss und fahren durch den Trastevere auf den dahinterliegenden Gianicolo, wo unweit der Hügelkuppe unser B&B Domus Monami inmitten einer herrschaftlichen Villengegend liegt mit ebensolchem Ausblick über die Stadt von der Dachterrasse. 76Km-350Hm.

Verfasser: Urs Christen 2015